Eigentlich stand Norderney gar nicht auf unserer Liste, denn ursprünglich wollten wir von Helgoland aus gleich bis Borkum segeln, um von dort in die Emsmündung einzubiegen und über Delfzijl die Staande Mastroute zu befahren. Glücklicherweise bekamen wir von unseren Liegeplatznachbarn den Tipp, stattdessen über Norderney und dann nach Lauwersoog zu segeln. Wir haben die Entscheidung nicht bereut.
Die Überfahrt von Helgoland nach Norderney dauerte gut 9 Stunden und führte uns durch eines der am stärksten befahrenen Seegebiete der Erde, nämlich die Zufahrten zur Elbe und zum Hamburger Hafen sowie in die Häfen der Jade- und Wesermündungen. Das Ganze wird durch sogenannte Verkehrstrennungsgebiete geordnet, die wie Autobahnen aufgebaut sind und auf denen der Schiffsverkehr in Einbahnstraßen geführt wird. Hinzu kommen noch ein paar Windparks und Reeden, also Gebiete, in denen Schiffe vorübergehend geparkt werden, bis sie in den Hafen einlaufen können. Dort liegen momentan, neben den üblichen Frachtern, Corona-bedingt auch einige Kreuzfahrtschiffe wie z.B. mehrere Exemplare der „Mein Schiff“ Flotte. Last but not least galt es auch die Tide, also Ebbe und Flut zu berücksichtigen, damit wir die östliche Zufahrt nach Norderney, das Dovetief, bei auflaufendem Wasser und ausreichender Wassertiefe erreichen würden. Alles in allem ein schönes Beispiel, wie sich das Segeln auf Nord- und Ostsee voneinander unterscheiden, denn Gezeiten gibt es in der Ostsee praktisch nicht und der Schiffsverkehr hält sich eher in Grenzen.
In Norderney angekommen wurden wir mit einem schönen Liegeplatz, einem sehr netten Hafenmeister und Sonne satt belohnt. Wir erkundeten die Insel bei schönstem Wetter per Fahrrad und genossen den warmen, weißen Sand der breiten Strände auf der Seeseite der Insel.
Norderney verfügt sogar über einen eigenen Flugplatz, von wo aus man in Corona freien Zeiten Rundflüge über die Inseln machen kann.
Aufgefallen sind uns die vielen Tausend, vielleicht Hunderttausend Kaninchen, die mit ihren verzweigten Bauten die Dünenlandschaft umgraben und inzwischen ein echtes Problem auf der Insel darstellen. Ursprünglich im Jahr 1620 als Jagdwild dort ausgesetzt, stellen sie inzwischen eine echte Plage dar und werden auf verschiedenste Arten bejagt, allerdings mit begrenztem Erfolg.
Vor etwa 50 Jahren, 1968 oder 1969, ich war in der ersten oder zweiten Klasse, war ich schon einmal auf Norderney. An vieles kann ich mich nicht mehr erinnern, aber die Fähre von Norddeich hieß damals „Donald Duck“ und im Kurhaus gab es für die Erwachsenen Gäste Meerwasser zu trinken. Keine Ahnung, wozu das gut sein sollte, aber es schmeckte grausig. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mich am Ende des Urlaubs mit meinem Pa auf dem Hügel stehend vom Meer verabschiedet habe. Erstaunlich, was so ein kleines Hirn sich einprägt und dann nach Jahrzehnten wieder freigibt. Ich wünschte mein Hirn wäre heute auch noch so aufnahmefähig wie damals, dafür klappt das Vergessen jetzt umso besser.
Nach drei schönen Urlaubstagen auf Norderney machten wir uns morgens auf den Weg nach Lauwersoog am niederländischen Wattenmeer. Wieder galt es die Wasserstände für die Abreise zu beachten, denn die westliche Zufahrt nach Norderney, der Schluchter, ist ebenfalls nur bei ausreichend Wasser unter dem Kiel befahrbar. Der seeseitige Zugang nach Norderney, das Norderneyer Seegatt entsteht durch die starken Gezeitenströme zwischen den Inseln Norderney und Juist. Genau zwischen den Inseln ist das Fahrwasser tief, aber weiter draussen verlangsamt sich die Strömung und es kommt zu Sandablagerungen, den Barren, die sehr veränderlich sind. Die Seekarten können diese schnellen Änderungen der Sandbänke und Wassertiefen normalerweise nicht abbilden und so muss man sich an den Verlauf der Fahrwassertonnen halten, denn diese werden mehrmals im Jahr an die tatsächlichen Verhältnisse angepasst. In unserem Fall war es allerdings so, dass die Seekarte aktueller war, als die Betonnung und den Hinweis enthielt, dass die Wassertiefen sich geändert hätten, die Betonung aber noch nicht angepasst sei. Wir passierten also die roten Fahrwassertonnen ausfahrend an unserer Backbordseite, anstatt sie an Steuerbord liegen zu lassen. Ein komisches Gefühl, aber es hat gut gepasst. Danke an dieser Stelle an den NV Verlag für die topaktuellen Seekarten und Informationen.
Der restliche Tag verlief relativ unspektakulär, allerdings mit einem spannenden Finish. Der Wind wehte mit leichten 10 -15 Knoten, das sind 3-4 Windstärken aus südöstlichen Richtungen, drehte langsam nach Südwest und wir fuhren, je nach Wind mal nur unter Segeln, mal mit Motorunterstützung. Wenn der Motor lief, setzten wir zusätzlich einen schwarzen Kegel mit der Spitze nach unten, um anderen Schiffen zu zeigen, das wir als Motorfahrzeug unterwegs waren, denn dann gelten andere Vorfahrtsregeln. Gegen 17:00 Uhr wurde es nochmal interessant. Zuerst nahm der Wind bis 15-18 Knoten, also 5 Windstärken zu, die Luft wurde kälter, es gab etwas Regen und der Wind drehte auf West. Das passte gut zu unserem Kurs und kam auch nicht überraschend. Wir setzen neben dem Großsegel auch die Fock und machten den Motor aus. Gegen 19:00 erreichten wir die Ansteuerung von Schiermonnikoog. Hier beginnt ein Fahrwasser, das uns über etwa 10 Seemeilen durch das niederländische Wattenmeer bis nach Lauwersoog führen sollte. Zu dieser Zeit lief der Flutstrom schon stark und schob uns voran. Wir erreichten jetzt, unter Großsegel und bei mitlaufendem Motor, 7-9 Knoten Fahrt über Grund, wobei der Flutstrom z.T. auch kräftig quer zum Fahrwasser setzte, an dessen Rändern es sehr schnell ziemlich flach wurde. Was wir allerdings so heftig nicht erwartet hatten war eine weitere Wetterfront, die nun mit Schauerböen und Windstärke 6, in Spitzen sogar Stärke 7 durchzog. Nach etwa einer Stunde hatten wir diesen spannenden Ritt hinter uns, der Wind ließ deutlich nach und wir bargen im Vorhafenbereich von Lauwersoog das Großsegel. Als wir in der kleinen Marina beim Fischereihafen anlegten war es fast windstill und der Hafen lag ganz friedlich da. Wir waren patschnass und müde und froh, gut angekommen zu sein.